Frieden, so fragil wie Papier
Eine „Paperbomb“ als Geschenk des Salon Diplomatique an die Mannheimer Bürgerschaft – ein kraftvolles Zeichen für Erinnerung, Versöhnung und europäische Freundschaft
Von der Waffe zur Mahnung:
Am 9. Mai 2025, exakt 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde im Zeughaus-Garten der Reiss-Engelhorn-Museen (REM) in Mannheim ein bewegendes Zeichen gesetzt: Mit der Enthüllung der ersten Paperbomb auf deutschem Boden würdigten Stadt, Kunst und Gesellschaft gemeinsam die Opfer vergangener Kriege – und setzten zugleich ein stilles, aber kraftvolles Signal für Frieden in der Gegenwart.
Die Skulptur stammt von der deutsch-italienischen Künstlerin Nessi Nezilla und wurde auf Initiative und durch Spenden des Salon Diplomatique Mannheim ermöglicht. Sie misst knapp zwei Meter, ist strahlend weiß und wirkt wie aus filigranem Papier gefaltet – tatsächlich jedoch besteht sie aus massivem Metall. Ihre ästhetische Leichtigkeit kontrastiert mit der Schwere ihres Themas: Krieg, Zerstörung, Erinnerung. Zerbrechlich im Ausdruck, unerschütterlich in der Aussage.
Ein Fest des Friedens – und des Erinnerns
Rund 160 Gäste folgten der Einladung zur Enthüllungsfeier anlässlich des Europatags – unter ihnen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Diplomatie, Kultur und Zivilgesellschaft. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von der 40-köpfigen Bigband des Ludwig-Frank-Gymnasiums, die dem Festakt mit den Hymnen einen würdevollen wie lebendigen Rahmen verlieh. Die Musik wurde so zum verbindenden Element zwischen den Generationen – wie die Skulptur selbst.
Die Eröffnungsrede hielt Helmut Augustin, Präsident des Salon Diplomatique. In seinen Worten schwang Bewunderung, aber auch Ernst mit: „Zerbrechlich wie Papier, doch zugleich monumental – so tritt die Paperbomb uns gegenüber. Sie steht für das, was wir so oft vergessen: Dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein empfindliches Gut.“ Der Salon Diplomatique hat bereits weitere dieser Skulpturen an symbolträchtigen Orten in Frankreich mitfinanziert – unter anderem in Tulle und am Hartmannswillerkopf – und wurde dabei wesentlich vom Mannheimer französischen Honorarkonsul Folker R. Zöller unterstützt.
Zöller betont die Notwendigkeit aktiver Erinnerungskultur. „Die Paperbomb ist keine Provokation. Sie ist eine Einladung – zum Dialog, zum Nachdenken, zur Verantwortung. Sie steht als Brücke über die Gräben der Geschichte hinweg.“
Ein Origami aus Metall – Kunst gegen das Vergessen
Inspiriert ist Nezillas Skulptur von der japanischen Origami-Tradition, insbesondere von der berührenden Geschichte Sadako Sasakis, einem jungen Mädchen aus Hiroshima. Sadako überlebte den Atombombenabwurf, erkrankte jedoch an Leukämie. In der Hoffnung auf Heilung faltete sie über 1600 Papierkraniche – getragen von einer Legende, die besagt, dass der Wunsch desjenigen in Erfüllung geht, der 1000 Origami-Kraniche faltet. Sadako starb mit nur zwölf Jahren – ihr Vermächtnis jedoch lebt weiter, nicht zuletzt in Werken wie der Paperbomb.
Die Künstlerin Nessi Nezilla, die bei der Enthüllung selbst anwesend war, betonte in einem kurzen Gespräch mit Gästen: „Meine Skulpturen sollen nicht verstören, sondern verbinden. Ich glaube an die stille Kraft der Erinnerung – und daran, dass aus Schönheit auch Mahnung werden kann.“
Diplomatie in der Sprache der Kunst
Zu den prominenten Gästen zählte unter anderem Pierre Lévy, ehemaliger französischer Botschafter in Russland, Polen und Tschechien, der 2024 mit dem Ehrentitel Ambassadeur de Franceausgezeichnet wurde. Lévy, der sich zuvor in das Goldene Buch der Stadt eintrug und über 300 Schülerinnen und Schüler in einer Diskussionsrunde traf, sagte: „In Moskau wird die Erinnerung gelenkt, um Macht zu sichern. Hier aber wird sie gepflegt, um Frieden zu stiften.“
Justizministerin Marion Gentges (CDU) schlug in ihrer Rede den Bogen zur Vergangenheit: Sie erinnerte an die erbitterten Kämpfe am Hartmannswillerkopf, wo eine weitere Paperbomb bereits steht. „Dort, am Berg des Todes, wie ihn Franzosen und Deutsche gleichermaßen nennen, wirkt die Skulptur über die Geschichte hinaus. Sie ermöglicht ein Gedenken ohne Grenzen.“
Auch Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) fand eindringliche Worte. Er erinnerte daran, dass im Zeughaus einst Kanonenkugeln lagerten, um sich gegen Angriffe aus Frankreich zu wappnen – heute stehe an diesem Ort ein Denkmal der Versöhnung. „Die Paperbomb zwingt uns, uns der Geschichte zu stellen. Sie verwandelt diesen Garten in einen Ort der Hoffnung – in einen Friedensgarten.“
Versöhnung mit ausgestreckter Hand
Ein besonderer Moment war die Anwesenheit von Roland Gonieau, Präsident des Comité des Martyrs aus Tulle, der selbst Angehörige bei dem Massaker verloren hatte. Er repräsentierte eine kleine Delegation aus der französischen Stadt, in der am 9. Juni 1944 99 Zivilisten von der deutschen Waffen-SS ermordet wurden. Sein Vater überlebte das Massaker – und forderte seinen Sohn später auf, die Sprache der Täter zu lernen, um Brücken zu bauen. Gonieau: „Ich komme als Freund. Diese Skulptur gibt unserer Trauer Form – und unserem Willen zur Versöhnung Ausdruck.“
Ein Friedenszeichen für Europa
Mit der Installation der Paperbomb setzt Mannheim nicht nur ein künstlerisches, sondern ein zutiefst politisches Zeichen. Weitere Skulpturen sind in Frankreich, Polen und Italien geplant. In Mannheim wurde sie aus reiner Bürgerschaftsinitiative heraus ermöglicht – ein Geschenk des Salon Diplomatique an die Stadt, ihre Bürgerinnen und Bürger.
In einer Zeit zunehmender Spannungen, nationalistischer Strömungen und globaler Unsicherheiten wird dieses Kunstwerk zu einem leisen, aber unüberhörbaren Ruf: Frieden ist möglich. Aber er ist zerbrechlich – wie Papier.
Und vielleicht ist es gerade diese Fragilität, die uns verpflichtet, ihn mit umso größerer Sorgfalt zu bewahren.